DIE ZEIT und werbefinanzierter Journalismus

Screenshot der ZEIT-Online-Startseite mit einem übergroßen roten Werbebanner der Organisation Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) „Annalena und die 10 Verbote“.
Titelbild von Johannes Lamberts auf Twitter.

Journalismus kann mit zwei Mitteln finanziert werden:

  1. Finanzierung durch Werbung und gesponsorte Artikel, meist Medien der Privatwirtschaft (Zeitungen, Blogs und privates Fernsehen).
  2. Finanzierung durch die Öffentlichkeit beziehungsweise „Abonnent*innen“, meist öffentlich-rechtliche Medien (Rundfunkbeitrag).

Beide Modelle können sich überschneiden: Das Erste schaltet vor 20:00 Uhr Werbung zwischen Sendungen und Nachrichten-Websites bieten oft bezahlte Varianten mit weniger oder keiner Werbung. Die Finanzierung durch Werbung ist jedoch insbesondere im Internet problematisch.

Werbung im „Cyberspace“

Werbung auf Websites ist schnelllebig und wird häufig durch Ad-Netzwerke automatisiert geschaltet, ein bekannter Anbieter ist Google Ads. Viele journalistische Websites wie ZEIT Online, FAZ.net oder SZ.de, bieten Werbetreibenden außerdem die Möglichkeit, Anzeigen direkt einzureichen.

Die Redaktionen arbeiten dabei unabhängig von der Abteilung für Werbung, um die journalistische Integrität nicht zu gefährden. Dennoch sollte die Werbung auf grundsätzliche Kompatibilität mit der journalistischen Linie der Zeitung geprüft werden. Kein seriöses Blatt würde Propaganda-Werbung, zum Beispiel von der nordkoreanischen Regierung, veröffentlichen.

Politik, Lobbyverbände und Werbung

Damit sind wir beim Titelbild angekommen, denn eine solche Propaganda-Werbung wurde am 11.06.2021 in vielen Zeitungen geschaltet (sowohl Print als auch Digital). Urheberin ist die Lobbyorganisation Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM), die wiederholt durch Hetze gegen soziale Themen aufgefallen ist.

Die Organisation versucht den Begriff „Soziale Marktwirtschaft“ in ihrem Sinne umzudeuten und das Wirtschaftssystem Deutschlands zu einer rein kapitalistischen freien Marktwirtschaft umzubauen. Für die Zielerreichung werden Politiker*innen korrumpiert und wie im aktuellen Fall schmähende Werbekampagnen geschaltet.

Journalismus und Vertrauen

Das Vertrauen in deusche Medien ist hoch, vor allem in öffentlich-rechtliche. Dem privaten Fernsehen, Klatsch-Blättern und Social Media wird mit einer gesunden Skepsis begegnet. Tages- und Regionalzeitungen befinden sich im Mittelfeld. Der Begriff „Lügenpresse“ verliert an Zustimmung.

Seriöser Journalismus lebt von Vertrauen.

Als Leser der wöchentlichen Print-Ausgabe der ZEIT schätze ich die progressiv-liberale und unaufgeregte Berichterstattung. Immer wieder fällt mir jedoch Werbung auf, die mit meiner links-grünen Überzeugung kollidiert, zum Beispiel für Autos oder Kreuzfahrten. Ich akzeptiere diese Anzeigen als notwendiges Finanzierungsmittel für hochwertigen Journalismus. Zumal ein Großteil der Werbung der übliche Mix aus Internetanbietern, Uhren und weiteren ZEIT-Publikationen ist.

Wenn ZEIT Online im Geldwahn eine rechts-nationalistische und antisemitische Propaganda-Anzeige der INSM schaltet, dann endet die Akzeptanz jedoch abrupt. Gleichzeitig wird das Vertrauen in den Journalismus der ZEIT stark beschädigt.

All diese Fragen gehen mir durch den Kopf, wenn ich die Werbeanzeige im Titelbild betrachte. Die Bedeutung von tagesschau.de und anderen öffentlich-rechtlichen Medien wird durch solche „Aktionen“ immer wichtiger. Der Rundfunkbeitrag mag umstritten sein, aber er macht unabhängigen Journalismus möglich. (Und finanziert coldmirror, das vielleicht beste Argument für den Beitrag.)